Es hat schon Tradition; jedes Jahr Mitte Februar bewege ich mich in's Engadin. Locker tuckere ich am Dienstag von Agno aus über den Julier- und den Ofenpass nach Mustair, wo ich liebe Freunde besuche.
Das Wetter ist frühlingshaft, viel Schnee ist nicht übrig geblieben. Der Camping Mulins in Mustair hat eine Art Halbbetrieb, Toiletten und Dusche sind offen, Strom und Wasser laufen mehr braucht es nicht.
Am Donnerstag ziehe ich weiter an den Morteratsch. Dieser Campingplatz ist mein absoluter Lieblingsplatz geworden. Unglaublich schön bei 1800 Meter liegend, kann man sich hier echt die Haxen ablaufen und auch saftige Bergtouren machen.
Am Gletscherfuss hat es ziemlich viel Touristen, aber ich nehme einen kleinen Sonderweg, den ich im Oktober entdeckt habe, und steige in Richtung Boval Hütte hoch.
Nicht dass mir die Touristen nicht passen; aber auf diesen schmalen Wegen macht es in der Schlange keinen Spass und es ist auch nicht ganz ungefährlich.
Am Sonntag fahre ich ab in Richtung Julierpass. Keine gute Idee. In Sankt Moritz ist kein Durchkommen, zuviel Verkehr. Ich drehe um und ziehe den Berninapass hoch.
Der Nebel ist dermassen dicht dass man die Strasse kaum sieht. Erst kurz vor Poschiavo klärt es auf. Via Tirano, Sondrio und Solico erreiche ich den Comersee, dann Porlezza und Lugano und lande am frühen Abend in Agno.
Es ist 6 Uhr morgens. Durch das Fenster lächeln mich meine eisüberzogenen Crocs - Plastikschuhe der Gattung schrecklich aber praktisch - an. Ich überlege ob ich den Kaffee vor- oder nach dem
Selbstmord mache, nutze dann den Ausblick auf einen Kimbo, mit Bedacht in der Bialetti geköchelt, als Motivator. Schnappe mir die Badehose, Handtuch und Seife und jage in eben diesen Crocs über
den Platz Richtung Dusche. So halbnackt sind -2 Grad bei Wind einfach schon die obere Grenze.
An meinem Raumschiff-Kontrollpanel brennen zwei rote Dioden: WC ist voll und Wasser ist aus. Nach dem Kaffee verabschiedet sich das Gas. Mittlerweile flanieren meine drei temporären Adoptivkatzen
vorbei. Der Blick sagt alles: Futter her or else.
In einem Wohnmobil zu wohnen bedeutet Arbeit. Im Winter ist die Kocherei eine Scheisse. Am nächsten Morgen weisst Du genau was Du gekocht hast. Geniale Ideen wie Fondue, Raclette oder Fischspiess
verwandeln sich in olfaktorische Albträume. Deshalb deklariere ich, dass das Aufreissen einer Packung Bündnerfleisch auch kochen ist.
Aber der Winter hat in einem Bereich etwas zu bieten, den man sich eben erst erschliessen muss. Es ist die absolute Stille und Einsamkeit in den Tessiner Bergen und die unglaublichen Panoramen.
Das Bergwandern fordert Ausdauer, da es hier tendenziell eher steil ist, aber die frühen Abende auf diesen Gipfeln sind mit Worten nicht zu beschreiben.